5 Jahre hat es gedauert.
Jetzt darf Michael Naumann - als Mitherausgeber der «Zeit» -
doch unter den gegebenen Umständen sagen "durchgeknallter
Staatsanwalt".
Aber 5 Jahre sass der Maulkorb fest. Welche Spuren wohl so
eine Maulkorb Erfahrung hinterlässt ?
Hier die Pressemitteilung:
Der Beschwerdeführer ist Journalist, Verleger, Publizist
und Mitherausgeber einer großen deutschen Zeitung.
Im. Juni 2003 strahlte der Fernsehsender "n-tv" die
Sendung "Talk in Berlin" aus, an der sich der Beschwerdeführer
als Diskussionsteilnehmer beteiligte. Die Sendung befasste sich
mit dem seinerzeit in den Medien viel beachteten Ermittlungsverfahren
gegen den damaligen Vizepräsidenten des Zentralrates der
Juden, Rechtsanwalt und Moderator Dr. F., der in den Verdacht
des unerlaubten Umgangs mit Betäubungsmitteln geraten war.
Im Rahmen der Sendung äußerte der Beschwerdeführer
u.a.:
"Und ich bin ganz sicher, dass dieser staatsanwaltliche,
man muss wirklich sagen: Skandal eines ganz offenkundig,
ich sag`s ganz offen, durchgeknallten Staatsanwaltes, der
hier in Berlin einen außerordentlich schlechten Ruf
hat, der vor einem Jahr vom Dienst suspendiert worden ist,
der zum ersten Mal überhaupt wieder tätig wird.
Dieser Skandal wird zweifellos dazu führen, dass sich
die hiesige Justizbehörde und die ihr zugeordnete
Staatsanwaltschaft fragen muss, ob man auf diese Art und
Weise gegen Privatpersonen vorgehen kann."
Das Amtsgericht Tiergarten verurteilte den Beschwerdeführer
wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen
zu je 300,00 €. Das Gericht begründete seine Entscheidung
damit, dass die Bezeichnung als „durchgeknallt“ umgangssprachlich
in dem Sinne von „verrückt“ oder „durchgedreht“ verstanden
werde. Hierin liege aber eine Schmähkritik, die allein
auf die Diffamierung des Betroffenen ziele und deshalb generell
unzulässig sei.
Die Revision gegen das Urteil verwarf das Kammergericht auf Antrag
der Generalstaatsanwaltschaft ohne weitere Begründung.
Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts
hat die Entscheidungen aufgehoben, weil sie das Grundrecht des
Beschwerdeführers auf Meinungsfreiheit aus Artikel 5 Absatz
1 Satz 1 des Grundgesetzes verletzen. Die Gerichte haben die
Bezeichnung als „durchgeknallt“ zu Unrecht als generell
unzulässige Schmähkritik angesehen und deshalb die
hier gebotene Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht
des Geschädigten und der Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers
nicht vorgenommen.
Weil der Begriff der Schmähkritik eine besonders
gravierende Ehrverletzung bezeichnet, bei der noch nicht einmal
mehr eine Abwägung mit der Meinungsfreiheit stattfindet,
sondern die Meinungsfreiheit absolut verdrängt wird, ist
dieser Begriff eng zu definieren. Selbst eine für sich
genommen herabsetzende Äußerung wird zu einer Schmähkritik
erst dann, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache,
sondern - jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik
- die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Auch wenn
der Bezeichnung als „durchgeknallt“ als solcher
ehrverletzender Gehalt zukommt, muss bei Beurteilung einer
schmähenden Wirkung der Zusammenhang berücksichtigt
werden, in dem die Äußerung fällt.
Der Kontext der Äußerung im Zusammenhang mit der
Kritik an der Informationspolitik der zuständigen Staatsanwaltschaft
spricht hier gegen die Annahme, dass der Beschwerdeführer
dem Betroffenen pauschal die geistige Gesundheit habe absprechen
und ihn damit ungeachtet seines Sachanliegens habe diffamieren
wollen. Vielmehr liegt es aus Sicht des unvoreingenommenen Publikums
nahe, dass er auch durch diese Begriffswahl Kritik an dem Umgang
des Generalstaatsanwaltes mit den Persönlichkeitsrechten
eines Beschuldigten üben wollte.
Die Herauslösung des Begriffes "durchgeknallt" aus
diesem Kontext verstellt den Blick darauf, dass die umstrittene Äußerung
im Zusammenhang mit einer Sachauseinandersetzung um die Ausübung
staatlicher Strafverfolgungsbefugnisse fiel.
In diesem Kontext kann der verwendeten Begriffswahl
aber nicht jeglicher Sachbezug abgesprochen werden, da sie
- wenn auch in polemischer und in herabsetzender Form - durchaus
die Sachaussage transportieren kann, dass ein als verantwortlich
angesehener Staatsanwalt im Zuge der Strafverfolgungstätigkeit
die gebotene Zurückhaltung und Rücksichtnahme auf
das Persönlichkeitsrecht eines Beschuldigten in unsachgemäßer
und übertriebener Weise habe vermissen lassen.
Die Bezeichnung als „durchgeknallt“ weist auch nicht
einen derart schwerwiegenden diffamierenden Gehalt auf, dass
der Ausdruck in jedem denkbaren Sachzusammenhang als bloße
Herabsetzung des Betroffenen erschiene und daher unabhängig
von seinem konkreten Kontext stets als persönlich diffamierende
Schmähung aufgefasst werden müsste, wie dies
bei der Verwendung besonders schwerwiegender Schimpfwörter
- etwa aus der Fäkalsprache - der Fall sein kann.
Teil der von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG umfassten Freiheit, seine
Meinung in selbstbestimmter Form zum Ausdruck zu bringen, ist
auch, dass der Äußernde von ihm als verantwortlich
angesehene Amtsträger in anklagender und personalisierter
Weise für die zu kritisierende Art der Machtausübung
angreifen kann, ohne befürchten zu müssen, dass die
personenbezogenen Elemente seiner Äußerung aus diesem
Kontext herausgelöst betrachtet werden und als solche die
Grundlage für eine einschneidende gerichtliche Sanktion
bilden.
Die Personalisierung eines Sachanliegens in anklagender Form
ist in solch unterschiedlicher Form und Intensität möglich,
dass es nicht gerechtfertigt wäre, die Meinungsfreiheit
in diesen Fällen wie bei Schmähungen stets und ungeachtet
der weiteren Umstände zurücktreten zu lassen.
Vielmehr
ist es erforderlich, in die gebotene Abwägung einzustellen, ob
der Betreffende als private Person oder sein öffentliches
Wirken mit seinen weitreichenden gesellschaftlichen Folgen Gegenstand
der Äußerung ist und welche Rückwirkungen auf
die persönliche Integrität des Betroffenen von der Äußerung
ausgehen. |