Hamburg - Eigentlich wollte Wolfgang Ball am 3. Dezember
in Berlin einen Vortrag zur Überprüfung von Energiepreisen
halten. Ball ist Richter am Bundesgerichtshof (BGH) und
in Kreisen der Energiewirtschaft im Moment ein gefragter
Redner.
)m Juni hatte der achte Senat unter seinem Vorsitz über
die Billigkeit von Gaspreisen zu entscheiden - ein Urteil,
das für Millionen von Gaskunden von entscheidender
Bedeutung war.
Ball befand, dass jeder Gaskunde zwar nach Paragraf 315 BGB überprüfen
könne, ob der Preis seines Versorgers tatsächlich
billigem Ermessen entspringe - eine weitergehende Kontrolle
der Quasi-Monopolisten ging dem BGH jedoch zu weit. Gebe
der Versorger nur gestiegene Bezugskosten weiter, so sei
das in Ordnung. Die gesamte Kalkulation aufzurollen würde
ihm "Schrecken" einjagen, bekannte der Richter.
Überraschend war auch, dass Ball
die Versorger nicht als Monopolisten
bewertete. Entgegen früherer BGH-Entscheidungen
suggerierte der achte Senat einen Wettbewerb
zwischen Energieträgern - nur wie
soll etwa eine Rentnerin mal eben von
Gas auf Öl umstellen? Nicht nur
unter Verbraucherschützern, auch
unter Juristen löste die Entscheidung
Erstaunen aus. Für die Konzerne
hingegen war sie Gold wert. Sie erspart
ihnen unangenehme Tiefenbohrungen in
ihre undurchsichtigen Kalkulationen.
Aus dem Ruder gelaufen
Die Argumente des Gerichts präsentierte Ball vor
wenigen Wochen leitenden Mitarbeitern der Energieunternehmen
auf einem Seminar, das die Energiekonzern-Kanzlei Clifford
Chance mitorganisiert hatte (SPIEGEL 43/2007). Das Motto
der pro Gast 1605 Euro teuren Veranstaltung: "Gute
Chancen für Gasversorger bei Gaspreiserhöhungen!" Balls
nächster Auftritt war für Anfang Dezember bei
einer Veranstaltung des Berliner Instituts für Energie-
und Regulierungsrecht geplant.
Doch daraus wird nun nichts. Aufgrund des SPIEGEL-Artikels
habe der BGH-Präsident Günter Hirsch die BGH-Richter
gebeten, in nächster Zeit zum Fragenkomplex des Paragraf
315 BGB keine Vorträge zu halten. Das schrieb der
Institutsdirektor in einem Brief an die "Freunde" des
von der Energiewirtschaft kofinanzierten Instituts.
BGH-Präsident Hirsch lässt dagegen wissen, es
gebe kein Vortragsverbot. Das würde auch komisch wirken,
denn auch Hirsch informierte vor einem Jahr im Berliner
Institut zu Paragraf 315 BGB. Doch Ball wird dennoch nicht
kommen. Hirsch hat ihm vorsichtig einen Verzicht nahegelegt.
Der BGH-Präsident sorgt sich inzwischen um den Eindruck
zu einseitiger Nebentätigkeiten seiner Richter und
drängt darauf, auch der Verbraucherseite Rede und
Antwort zu stehen.
In letzter Zeit scheinen die lukrativen Feierabendjobs
von Deutschlands obersten Richtern etwas aus dem Ruder
zu laufen. Hatten von den rund 500 Bundesrichtern (ohne
das Bundesverfassungsgericht) vor elf Jahren nur etwa 15
Prozent Nebeneinkünfte, so wird heute "fast jeder
BGH-Richter eine Nebentätigkeit ausüben",
schätzt Lothar Jünemann, Geschäftsführer
des Deutschen Richterbundes. Das ist auch nicht verboten;
Vorträge etwa müssen nicht mal genehmigt, sondern
nur angezeigt werden. Die richterliche Unabhängigkeit
könnte ja sonst in Gefahr sein.
Doch so unabhängig scheinen die Wege vieler Richter
nicht zu sein. Sie folgen der Spur des Geldes - wie etwa
in Frankfurt, wo fast alle Hypothekenbanken Richter als
Treuhänder beschäftigen, wie der Würzburger
Wirtschaftswissenschaftler Ekkehard Wenger kritisiert.
Statistiken zum Thema sind kaum vorhanden. In der baden-
württembergischen Arbeitsgerichtsbarkeit allerdings
ist mal nachgezählt worden: Dort üben etwa 50
Prozent der Richter einen Nebenjob aus. Spitzenkräfte
unter ihnen verdienen auf diese Weise bis zur Hälfte
ihres Grundgehaltes dazu.
Mehr Purismus wagen
Das Berufsbild der Richter, so der ehemalige Präsident
des Bundesarbeitsgerichts, Thomas Dieterich, "wird
durch eindeutig gewerbliche Aktivität beschädigt".
Die meisten Vorträge dienten kaum mehr wissenschaftlichen
Zwecken, "sie sind vielmehr Handreichungen an bestimmte
Zirkel". Wenn allerdings Rechtsprechung so stark als
Politikersatz herhalten müsse wie heute, so Dieterich,
sei es kein Wunder, "wenn die Richter in den Focus
von Lobbyisten geraten".
Besonders klar zu Tage tritt diese Nähe in Nordrhein-Westfalen,
dem Sitz von Konzernen wie E.on und RWE . Da in NRW auch
die Bundesnetzagentur sitzt, ist das Oberlandesgericht
in Düsseldorf zuständig für alle Netzentgeltverfahren.
Und ganz entscheidend ist der 3. Kartellsenats unter dem
Vorsitz von Wiegand Laubenstein.
Das hat auch die Großkanzlei Clifford Chance erkannt,
die unter anderem für Vattenfall und RWE tätig
ist. In den vergangen zwei Jahren ist Laubenstein immer
wieder von der Kanzlei zu Seminaren eingeladen worden,
die mitunter reine Netzbetreiber-Veranstaltungen waren.
Laubensteins Honorar, so der OLG-Pressesprecher, habe dabei
zwischen Januar 2006 und November 2007 insgesamt "im
untersten vierstelligen Bereich" gelegen. Für
einige Vorträge habe er auch gar kein Honorar verlangt.
Ob solche Veranstaltungen die richterliche Unabhängigkeit
beeinträchtigten? Das bedürfe der Prüfung
im Einzelfall, so der Pressesprecher.
Im Frühjahr hatte Laubensteins Senat über eine
Klage von Vattenfall zu entscheiden. Der Stromriese wollte
höhere Nutzungsgebühren für seine Stromnetze
- bekam sie aber nicht. Doch Vattenfall und die übrigen
Konzerne bekamen eine Schmerzlinderung vom OLG: Die niedrigeren
Netzgebühren, die eigentlich ab November 2005 gelten
sollten (aber durch Verzögerungstaktik der Konzerne
erst im Sommer 2006 zu Stande kamen), wurden nicht rückwirkend
in Kraft gesetzt.
Dafür sah der Kartellsenat unter Laubenstein im Gegensatz
etwa zum Oberlandesgericht Stuttgart keine rechtliche Basis.
Während die Stromkunden den Schaden hatten, konnten
die Konzerne monatelang die alten Gebühren weiter
berechnen - und sich über üppige Gewinnsprünge
freuen: Allein E.on bildete für den Fall einer negativen
Entscheidung 551 Millionen Euro Rückstellungen - Geld,
das die Kunden zu viel gezahlt haben und nicht wiedersehen
werden.
Bevor E.on diesen Schatz hebt, wird man am Düsseldorfer
Konzernsitz abwarten, wie der BGH dazu entscheidet.
Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass BGH-Richter Ball
darüber befindet. Und darüber referieren wird
er wohl auch nicht. Ball macht sich im Moment rar, ganz
im Sinne des Arbeitsgerichtspräsidenten Thomas Dieterich.
Er hatte der eigenen Branche zu mehr "Purismus" geraten.