Die problematischste Form der "falschen
Tatsachenbehauptung" ist der Rückgriff auf einen sogenannten "Tatsachenkern".
Argumentiert der Anwalt oder Richter mit einem "Tatsachenkern",
dann geht er meistens davon aus, dass die Äusserung
zwar eine Meinungsäusserung ist, aber jeder Meinungsäusserung
muss ja irgendein Tatsachenmaterial zugrunde liegen, das
zu der Meinung geführt hat. Das ist der Tatsachenkern
einer Meinung.
Hier sind der willkürlichen Interpretation einer Meinungsäusserung
Tür und Tor geöffnet.
Man kann einen Begriff aus dem Zusammenhang lösen und
seine Bedeutung analysieren - oder den Zusammenhang nutzen,
um die Begriffsbedeutung in eine bestimmte Richtung zu schieben
-
Sprache und Kommunikation sind keine Rechenaufgaben und
bestehen nicht aus aneinandergereihten Definitionen -
Missverständlichkeit
ist die Voraussetzung dafür, dass Sprache oder "Verstehen"
überhaupt funktioniert - das weiss jeder Kommunikationswissenschaftler.
Diese unabdingbare Eigenschaft der Sprache haben inzwischen
die Maulkorb Spezialisten erkannt - und nutzen sie.
Es wird
um die Deutung der Bedeutung einer Äusserung gestritten.
Heraus kommt eine persönliche Meinung, die sich der
Richter bildet. Er ist der enzige, der sich tatsächlich
eine freie Meinung leisten kann - denn er entscheidet, welche
Deutung seiner Ansicht nach die richtige ist.
Er beruft sich dabei auf den rechtlichen Grundsatz,
dass es nicht darauf ankommt, was der Autor der Äusserung
gemeint hat, sondern wie ein durchschnittlicher Leser
diese Äusserung verstehen - oder missverstehen kann.
Der durchschnittliche Leser - das ist natürlich
der Richter - denn Gutachten oder Erhebungen bei den Lesern
gibt es natürlich nicht. Dass aber ein Richter kein
durchschnittlicher Leser sein kann - dass die stundenlange
sophistische Analyse eines Begriffs nicht vom durchschnittlichen
Leser geleistet werden kann - dass also die Bewertung einer Äusserung
durch ein Gericht sehr leicht falsch, weil weltfremd sein
kann - das versteht sich von selbst.
Hat der Richter sich darauf verständigt, dass er in
der Meinungsäusserung einen falschen Tatsachenkern
sieht, dann ist der Rest einfach:
Falsche Tatsachenbehauptungen sind grundsätzlich
zu verbieten und zu bestrafen.
Diese Art des Herbeideutens einer "falschen Tatsachenbehauptung"
- die erst durch Deutelei und Krümelpickerei entsteht
- ist naturgemäss umstritten denn es handelt sich
um "missverständliche"
oder zumindest "mehrdeutige Äusserungen".
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