Diese Info Seite wird zur Verfügung gestellt von

ERGO Film
Wielandstr. 16
10629 Berlin

ERGO Film
Studio Produktion Übersicht unter
ergo-film.de

ERGO Film
Dokumentarfilme - Clips ankucken unter

ergo-film.info
ERGO FILM
Sprecherliste - eine kostenlose Hörkartei für Filmproduktionen unter

sprecher-liste.de
Recht und Gerechtigkeit
Informations- und Meinungsfreiheit in Gefahr ?
Archivkopie - die welt - Beispiele aus der Wirklichkeit
Startseite   |   Vorgeschichte    |   Liste positiver meinungsrechtlicher Gerichtsverfahren 
Wie die Meinungsfreiheit bekämpft werden kann
Law Hunting    |   Abmahnung + Einstweilige Verfügung     |    Forenhaftung    |     Linkhaftung      |     Presse kontrollieren    |   Zensur ?  
Rechtliche Grundlagen    |    Beleidigung   |   falsche Tatsachenbehauptung
Meinungsfreiheit in Gefahr   |    Maulkorb Erfahrungen anderer   |   Was tun ?

Rechtsstaat

Stasi-Spitzel fordern Persönlichkeitsrechte ein

 
Von Hubertus Knabe 10. November 2008, 18:36 Uhr

Auch wenn es paradox klingt – über die Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 hat sich niemand so gefreut wie die ehemaligen Stasi-Mitarbeiter. Mit diesem Tag stand ihnen das ganze Instrumentarium des Rechtsstaates zur Verfügung, das die Rechte des Einzelnen in Deutschland schützt – egal, was er vorher getan hat.

Während die Stasi-Mitarbeiter nach der Wende anfangs noch zurückhaltend von den Möglichkeiten des deutschen Rechtsstaates Gebrauch machten – damals liefen noch zahlreiche Ermittlungsverfahren gegen sie –, wagen sie sich inzwischen immer dreister aus der Deckung. Nachdem die Verfahren alle eingestellt sind, fordern sie inzwischen selbstbewusst den Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte ein. Unter Berufung auf Grundgesetz, Unschuldsvermutung und Datenschutz verlangen sie, dass man ihre Namen nicht mehr öffentlich nennen dürfe – wegen der „Prangerwirkung“.

Leider finden sich immer mehr Richter, die ihnen recht geben. Die Folgen haben als Erstes die Medien zu tragen: Eine Berichterstattung über Stasi-Verstrickungen wird in Deutschland immer schwieriger, juristisch riskanter und vor allem teurer – weil jedes Verfahren mehrere Tausend Euro kostet.

Wer kein Risiko eingehen will, flüchtet sich in eine vage, anonyme Verdachtsberichterstattung. Aus dem konkreten Spitzeldienst für eine Diktatur wird so der allgemeine Hinweis auf „mögliche Stasi-Kontakte“ einer Person. Noch stärker sind die Verlage betroffen: Da ein Buch nicht nur einen Tag lang verkauft wird, muss es, wenn die Stasi-Täter vor Gericht Erfolg haben, aus Tausenden Buchhandlungen zurückgeholt und anschließen geschwärzt oder eingestampft werden. Jeder Verlag überlegt es sich heute dreimal, ob er die Namen von Stasi-Mitarbeitern nennen soll, weil das wirtschaftliche Risiko in keinem Verhältnis zum verlegerischen Nutzen steht.

Die Folge ist eine schleichende Selbstzensur, die aus konkreten historischen Vorgängen allgemeine, abstrakte Abläufe macht – für die Leser langweilig und kaum nachvollziehbar. Ein Buch – um nur ein Beispiel zu nennen – über die Ungeheuerlichkeit, dass in der DDR Hunderte Ärzte der Stasi zugearbeitet haben, wird zu einer Aneinanderreihung von nichtssagenden Decknamen von „Alfons“ bis „Zacharias“. Eine Aufarbeitung des massenhaften Patientenverrats unter den teilweise noch heute praktizierenden Ärzten ist nicht möglich.

Noch stärker betroffen sind die Wissenschaftler, die normalerweise keine Rechtsabteilung zur Seite haben, aber den Verlag in der Regel von allen Rechtsansprüchen Dritter freistellen müssen. Wer nicht Gefahr laufen will, in zahllose Rechtsstreitigkeiten mit ungewissem Ausgang verwickelt zu werden, verzichtet besser von vornherein auf das Nennen von Namen.

Und während er sonst gehalten ist, mit wissenschaftlicher Genauigkeit Tatsachen festzustellen, sollte er tunlichst nur noch einen allgemeinen Verdacht oder eine subjektive Meinung äußern – nur dann droht kein Prozess. Überhaupt ist jeder Stasi-Forscher gut beraten, wenn er zuvor ein detailliertes – und teures – Rechtsgutachten einholt, bevor er sein Manuskript veröffentlicht. Am meisten aber sind die Opfer von der Rechtsprechung bedroht.

Wer heute öffentlich darüber berichtet, wer ihn an die Stasi verraten hat, muss damit rechnen, von diesem noch ein zweites Mal drangsaliert zu werden – durch eine Klage auf Unterlassung und gegebenenfalls sogar Schadenersatz. Öffentlichkeit herzustellen ist ohnehin das Einzige, was den Verfolgten geblieben ist, wenn sie merken, dass sie der örtliche Immobilienmakler oder Fußballklubpräsident in seinem ersten Leben ins Gefängnis gebracht hat – Stasi-Spitzel sind in Deutschland allesamt straffrei geblieben. Wenn er nun einen Leserbrief dazu schreibt oder auch nur an den Vorstand des Kickervereins schreibt, kann ihm das leicht vom Gericht verboten werden. Die Folge: Die alten Wunden werden noch schmerzhafter, eine individuelle Verarbeitung ist nicht möglich. Auch Ausstellungsmacher, Opferverbände oder Schulklassen können – wie jüngst in Reichenbach – einen Maulkorb verhängt bekommen, wenn sie sich in Deutschland öffentlich mit Stasi-Tätern beschäftigen wollen. „Die Freiheit stirbt zentimeterweise“ lautete ein Slogan früherer Bürgerrechtsbewegungen.

Genau das findet seit mehreren Jahren auf dem Gebiet der Stasi-Aufarbeitung statt. Weil manche Richter, vor allem in Hamburg und Berlin, aus Datenschutz Täterschutz machen, wird eine offene Auseinandersetzung mit Schuld und Verbrechen in der SED-Diktatur (und merkwürdigerweise nur in dieser) immer mehr erschwert. Bei Stasi-Themen gilt das Grundgesetz schon lange nicht mehr – denn da steht drin: Eine Zensur findet nicht statt.

Der Autor ist Historiker und Leiter der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen


 

 
 
Kontakt Info    |   Impressum