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Seminare und die "aussergerichtliche" Vorbereitung von Rechtsprechung

Die Energiekonzerne und der BGH - ein Bericht des Spiegel vom 26. 121. 2006 -

Achivkopie:

SPIEGEL ONLINE - 26. November 2007, 11:20
URL: http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,519373,00.html

RICHTER-NEBENJOBS

Im Fokus der Lobbyisten

Von Nils Klawitter

Viele Richter haben Nebenjobs und erklären etwa der Energiebranche auf Seminaren, was bei Tariferhöhungen zu beachten ist. Am Bundesgerichtshof ist diese Praxis nun aufgefallen. Der erste Richter hat ein Seminar abgesagt.

Hamburg - Eigentlich wollte Wolfgang Ball am 3. Dezember in Berlin einen Vortrag zur Überprüfung von Energiepreisen halten. Ball ist Richter am Bundesgerichtshof (BGH) und in Kreisen der Energiewirtschaft im Moment ein gefragter Redner.

)m Juni hatte der achte Senat unter seinem Vorsitz über die Billigkeit von Gaspreisen zu entscheiden - ein Urteil, das für Millionen von Gaskunden von entscheidender Bedeutung war.


Ball befand, dass jeder Gaskunde zwar nach Paragraf 315 BGB überprüfen könne, ob der Preis seines Versorgers tatsächlich billigem Ermessen entspringe - eine weitergehende Kontrolle der Quasi-Monopolisten ging dem BGH jedoch zu weit. Gebe der Versorger nur gestiegene Bezugskosten weiter, so sei das in Ordnung. Die gesamte Kalkulation aufzurollen würde ihm "Schrecken" einjagen, bekannte der Richter.

Überraschend war auch, dass Ball die Versorger nicht als Monopolisten bewertete. Entgegen früherer BGH-Entscheidungen suggerierte der achte Senat einen Wettbewerb zwischen Energieträgern - nur wie soll etwa eine Rentnerin mal eben von Gas auf Öl umstellen? Nicht nur unter Verbraucherschützern, auch unter Juristen löste die Entscheidung Erstaunen aus. Für die Konzerne hingegen war sie Gold wert. Sie erspart ihnen unangenehme Tiefenbohrungen in ihre undurchsichtigen Kalkulationen.

Aus dem Ruder gelaufen

Die Argumente des Gerichts präsentierte Ball vor wenigen Wochen leitenden Mitarbeitern der Energieunternehmen auf einem Seminar, das die Energiekonzern-Kanzlei Clifford Chance mitorganisiert hatte (SPIEGEL 43/2007). Das Motto der pro Gast 1605 Euro teuren Veranstaltung: "Gute Chancen für Gasversorger bei Gaspreiserhöhungen!" Balls nächster Auftritt war für Anfang Dezember bei einer Veranstaltung des Berliner Instituts für Energie- und Regulierungsrecht geplant.

Doch daraus wird nun nichts. Aufgrund des SPIEGEL-Artikels habe der BGH-Präsident Günter Hirsch die BGH-Richter gebeten, in nächster Zeit zum Fragenkomplex des Paragraf 315 BGB keine Vorträge zu halten. Das schrieb der Institutsdirektor in einem Brief an die "Freunde" des von der Energiewirtschaft kofinanzierten Instituts.

BGH-Präsident Hirsch lässt dagegen wissen, es gebe kein Vortragsverbot. Das würde auch komisch wirken, denn auch Hirsch informierte vor einem Jahr im Berliner Institut zu Paragraf 315 BGB. Doch Ball wird dennoch nicht kommen. Hirsch hat ihm vorsichtig einen Verzicht nahegelegt. Der BGH-Präsident sorgt sich inzwischen um den Eindruck zu einseitiger Nebentätigkeiten seiner Richter und drängt darauf, auch der Verbraucherseite Rede und Antwort zu stehen.

In letzter Zeit scheinen die lukrativen Feierabendjobs von Deutschlands obersten Richtern etwas aus dem Ruder zu laufen. Hatten von den rund 500 Bundesrichtern (ohne das Bundesverfassungsgericht) vor elf Jahren nur etwa 15 Prozent Nebeneinkünfte, so wird heute "fast jeder BGH-Richter eine Nebentätigkeit ausüben", schätzt Lothar Jünemann, Geschäftsführer des Deutschen Richterbundes. Das ist auch nicht verboten; Vorträge etwa müssen nicht mal genehmigt, sondern nur angezeigt werden. Die richterliche Unabhängigkeit könnte ja sonst in Gefahr sein.

Doch so unabhängig scheinen die Wege vieler Richter nicht zu sein. Sie folgen der Spur des Geldes - wie etwa in Frankfurt, wo fast alle Hypothekenbanken Richter als Treuhänder beschäftigen, wie der Würzburger Wirtschaftswissenschaftler Ekkehard Wenger kritisiert. Statistiken zum Thema sind kaum vorhanden. In der baden- württembergischen Arbeitsgerichtsbarkeit allerdings ist mal nachgezählt worden: Dort üben etwa 50 Prozent der Richter einen Nebenjob aus. Spitzenkräfte unter ihnen verdienen auf diese Weise bis zur Hälfte ihres Grundgehaltes dazu.

Mehr Purismus wagen

Das Berufsbild der Richter, so der ehemalige Präsident des Bundesarbeitsgerichts, Thomas Dieterich, "wird durch eindeutig gewerbliche Aktivität beschädigt". Die meisten Vorträge dienten kaum mehr wissenschaftlichen Zwecken, "sie sind vielmehr Handreichungen an bestimmte Zirkel". Wenn allerdings Rechtsprechung so stark als Politikersatz herhalten müsse wie heute, so Dieterich, sei es kein Wunder, "wenn die Richter in den Focus von Lobbyisten geraten".

Besonders klar zu Tage tritt diese Nähe in Nordrhein-Westfalen, dem Sitz von Konzernen wie E.on und RWE . Da in NRW auch die Bundesnetzagentur sitzt, ist das Oberlandesgericht in Düsseldorf zuständig für alle Netzentgeltverfahren. Und ganz entscheidend ist der 3. Kartellsenats unter dem Vorsitz von Wiegand Laubenstein.

Das hat auch die Großkanzlei Clifford Chance erkannt, die unter anderem für Vattenfall und RWE tätig ist. In den vergangen zwei Jahren ist Laubenstein immer wieder von der Kanzlei zu Seminaren eingeladen worden, die mitunter reine Netzbetreiber-Veranstaltungen waren. Laubensteins Honorar, so der OLG-Pressesprecher, habe dabei zwischen Januar 2006 und November 2007 insgesamt "im untersten vierstelligen Bereich" gelegen. Für einige Vorträge habe er auch gar kein Honorar verlangt. Ob solche Veranstaltungen die richterliche Unabhängigkeit beeinträchtigten? Das bedürfe der Prüfung im Einzelfall, so der Pressesprecher.

Im Frühjahr hatte Laubensteins Senat über eine Klage von Vattenfall zu entscheiden. Der Stromriese wollte höhere Nutzungsgebühren für seine Stromnetze - bekam sie aber nicht. Doch Vattenfall und die übrigen Konzerne bekamen eine Schmerzlinderung vom OLG: Die niedrigeren Netzgebühren, die eigentlich ab November 2005 gelten sollten (aber durch Verzögerungstaktik der Konzerne erst im Sommer 2006 zu Stande kamen), wurden nicht rückwirkend in Kraft gesetzt.

Dafür sah der Kartellsenat unter Laubenstein im Gegensatz etwa zum Oberlandesgericht Stuttgart keine rechtliche Basis. Während die Stromkunden den Schaden hatten, konnten die Konzerne monatelang die alten Gebühren weiter berechnen - und sich über üppige Gewinnsprünge freuen: Allein E.on bildete für den Fall einer negativen Entscheidung 551 Millionen Euro Rückstellungen - Geld, das die Kunden zu viel gezahlt haben und nicht wiedersehen werden.

Bevor E.on diesen Schatz hebt, wird man am Düsseldorfer Konzernsitz abwarten, wie der BGH dazu entscheidet.

Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass BGH-Richter Ball darüber befindet. Und darüber referieren wird er wohl auch nicht. Ball macht sich im Moment rar, ganz im Sinne des Arbeitsgerichtspräsidenten Thomas Dieterich. Er hatte der eigenen Branche zu mehr "Purismus" geraten.