Das geltende Urheberrechtsregime reibt sich zunehmend
an der digitalen Alltagswirklichkeit.
Während es ursprünglich
als ein auf den „genialen” Schöpfer zugeschnittenes
Schutzrecht gegen Missbrauch konzipiert war, verstoßen
wir, ob gewollt oder unbeabsichtigt, täglich gegen bestehendes
Recht.
Verlustfreies Kopieren gilt den einen als Zugewinn an
Freiheit, den anderen als Einschränkung von künstlerischer
Verfügungsgewalt und drohender Einnahmenverlust.
Ein Ende
der „Copyright Wars“ erfordert ein politisches und
rechtstheoretisches Neudenken.
Lost in La Mancha
Knapp 400 Jahre, bevor ein mexikanischer Schwanzlurch den deutschen
Literaturbetrieb in Wallung brachte, ritt ein verarmter Landadliger
durch die kastilische Hochebene.
Sein Schöpfer, der gerichtsnotorische
Miguel de Cervantes, präsentiert ihn als verirrte Seele,
dem die exzessive Lektüre von Ritterromanen den Verstand
vernebelt hat.
Mit unseren heutigen Begriffen würden wir
Don Quijote wohl als Opfer des hohen Datenaufkommens oder einen
Geschädigten von virtuellen Rollenspielen ansehen.
Nicht nur seine literarische Figur, auch Cervantes selbst hatte
die Konsequenzen seiner Einbildungskraft zu tragen: Kurz nach
Erscheinen des ersten Teils des Romans El ingenioso hidalgo Don
Quijote de la Mancha (1605) folgten etliche Raubdrucke.
Das war
damals nichts Ungewöhnliches, da Verlage noch nicht als
Rechteinhaber im heutigen Sinne in die Verwertungskette eingriffen
und die Drucker ihr technologisches Monopol weidlich auszunutzen
verstanden.
Der kommerzielle Erfolg des Don Quijote rief allerdings
auch andere Trittbrettfahrer auf den Plan: Eine apokryphe Fortsetzung
durch einen gewissen Alonso Fernández de Avellaneda, die
1614 in Umlauf kam, beschleunigte die Fertigstellung des zweiten
Bandes (1615) durch Cervantes selbst.
Wie der Plagiierte darin
auf seinen Plagiator reagiert, sagt viel darüber aus, wie
das System der literarischen Öffentlichkeit vor der Epoche
des Urheberrechts funktionierte.
In seinem Prolog an den Leser versichert Cervantes, keinerlei „Scheltworte,
Zank und Schmähen” gegen den Verfasser der ungenehmigten
Fortsetzung gebrauchen zu wollen.
Im Übrigen wisse er recht
gut, „was die Versuchungen des Teufels sind, und dass eine
der größten die ist, es einem Menschen in den Kopf
zu setzen, er könne ein Buch schreiben und drucken lassen,
mit welchem er ebensoviel Ruhm als Geld und ebensoviel Geld als
Ruhm gewönne”.
Zugleich versieht er seinen Text mit
einer Art Echtheitszertifikat und bekräftigt, „dass
dieser zweite Teil des Don Quixote, den ich dir jetzt übergebe,
von dem nämlichen Künstler und aus dem nämlichen
Zeuge wie der erste gearbeitet sei und ich dir hiermit den Don
Quixote übergebe, vermehrt und endlich tot und begraben,
damit keiner es über sich nehme, neue Zeugnisse seinetwegen
herbeizubringen”.
Im Verlaufe der Romanhandlung begegnet Don Quijote zahlreichen
Figuren, die von sich behaupten, sowohl Cervantes’ ersten
Teil als auch Avellanedas Rip-off schon gelesen zu haben, und
nun dem Protagonisten der „legitimen” Fortsetzung
seine Authentizität attestieren.
Nicht selten geschieht
dies unter hämischen Querverweisen auf das Plagiat, und
Cervantes nutzt jede Gelegenheit, dem Nachahmer dessen vermeintlich
schlechtere Lösungen bei der Entfaltung des Plots unter
die Nase zu reiben.
Dadurch verlängert sich das in der Romanhandlung
angelegte Vexierspiel zwischen Wirklichkeit und Fiktion bis ins
Unendliche.
Im 62. Kapitel wird der Ritter von der traurigen
Gestalt in einer Druckerei in Barcelona sogar Zeuge, wie das
Buch Avellanedas korrigiert wird. Ein in der Literaturgeschichte
wohl einmaliges Hase-und-Igel-Rennen gerät zum ironischen
Kommentar über Autorschaft im Manuskript-Zeitalter.
Cervantes führt mit seinem Don Quijote vor, wie im 17.
Jahrhundert das einstmals lockere Verhältnis zu Varianten
und Umarbeitungen von Stoffen allmählich einem robusteren
Verständnis von Autorschaft und damit einhergehenden Ansprüchen
(auf finanzielles und symbolisches Kapital) zu weichen beginnt.
Und gerade weil dem Urheber Cervantes für die Absicherung
seiner Werkherrschaft keine anderen Sanktionen zur Verfügung
stehen, wertet er den literarischen Diebstahl zum auktorialen
Spiel mit intertextuellen Verweisen um.
Aus der vermeintlichen
Schwäche des Systems wird so eine Stärke der Kunst:
Cervantes verfasst in souveräner Manier eine Art literarische
Unterlassungsklage, und die selbstreferenzielle Verhandlung seines
eigenen Falls macht den Don Quijote zum ersten Gründungstext
der literarischen Moderne.
Lost Souls
Die Vorstellung von geistigem Eigentum, die untrennbar an die
Genieästhetik der Goethe-Zeit geknüpft ist, hat Konkurrenzen
wie jene zwischen Cervantes und Avellaneda zur Regel gemacht.
Heute sind Urheberrechtsverletzungen schlicht justiziabel. Literarischer
Diebstahl ist kein Kavaliersdelikt mehr, das von der literarischen Öffentlichkeit
als Gesellschaftsspiel goutiert würde, sondern beschäftigt
Autoren, Erbengemeinschaften und Anwaltskanzleien.
Dabei hat
die jedem Internetbenutzer gegebene Möglichkeit zum „Cut & Paste” die
Hemmschwellen zum Verbreiten und Umarbeiten fremder Werke enorm
gesenkt.
Den Kulturwissenschaftler Philipp Theisohn „verwundert
es nicht, dass das Netz aus Sicht der buchgestützten Literaturproduktion
vorwiegend als ein plagiarischer Raum wahrgenommen wird, als
eine Sphäre, in welcher der Autor als die Person, zu welcher
er sich seit der Erfindung des Buchdrucks allmählich entwickelt
hatte, systematisch entrechtet, enteignet, aufgelöst wird”.
Wie Jeanette Hofmann in ihrem Beitrag hervorhebt,
ist die Logik des urheberrechtlichen Weltbildes eng an einen
dogmatischen Diskurs geknüpft.
Dies mache es schwierig,
die technologischen Möglichkeiten der digitalen Ära
mit der engen Schöpfer-Werk-Beziehung aus dem 18. Jahrhundert
zur Deckung zu bringen.
Dieser unaufgelöste Widerspruch
von tradierten Denk- und Rechtsfiguren und der x-fachen Verstöße
gegen ebendiese, erfordere die Abkehr von klassischen Kategorien
und die Hinwendung zu neuen.
Für die (zumeist jüngeren) Protagonisten einer offenen
Netzkultur hat sich mit dem Web 2.0 eine Utopie realisiert – der
schnelle Austausch von Daten und Informationen weitgehend ohne
Teilnahmebarrieren und mit selbst definierten Freiheiten.
In
dieser Perspektive ist das Beharren auf eine singuläre Urheberschaft,
aus der sich bestimmte Verfügungsrechte ableiten, tendenziell
unzeitgemäß, weil es an den Realitäten sozialer
Austauschprozesse im Internet vorbeigeht.
Selbst ein Bestsellerautor
wie Jonathan Lethem kritisiert die Haltung vieler
Schriftstellerkollegen, die das Copyright „als ihr Geburtsrecht
und Bollwerk, als den Nährboden für ihre unendlich
fragilen Praktiken in einer raubgierigen Welt ansehen”.
Verschiedentlich ist schon als Kulturkampf bezeichnet worden,
was sich gegenwärtig zwischen den Verfechtern des geltenden
Urheberrechtsregimes sowie den Befürwortern von dessen Abschaffung,
zumindest Reformierung, abspielt.
Wie unsicher die Bewertungsmaßstäbe
innerhalb der medienhistorischen Übergangsphase des 21.
Jahrhunderts immer noch sind, zeigte nicht zuletzt die Meta-Debatte
um Helene Hegemanns Axolotl Roadkill. Zwar konnte Hegemann, zum
Zeitpunkt der Abfassung bzw. Kompilation des Textes erst 17 Jahre
alt, einen gewissen Welpenschutz für sich beanspruchen,
weil sie als digital native „geistiges Eigentum” im
Grunde als kontrafaktische Bestimmung jenseits ihrer Lebenswirklichkeit
ansah.
Aber die gelassene Selbstverständlichkeit, mit der
sie dem Plagiatsvorwurf zunächst begegnete, wirkte wie Schmieröl
für die Mechanik der eingespielten Skandal-Ökonomie.
Als ihre nicht ausgewiesene Einlagerung von fremden Textpartikeln
in Axolotl Roadkill aufflog, kam es zu einer bemerkenswerten
Arbeitsteilung zwischen Verlag und Autorin.
Während Ullstein
sich sofort um die nachträgliche Einholung von Abdruckgenehmigungen
bemühte, beharrte Hegemann in einem inzwischen schon legendären
Statement auf der „Ablösung von diesem ganzen Urheberrechtsexzess”.
Zwar gestand sie ein, sich aus fremden Quellen (u. a. Blogs)
bedient zu haben, rechtfertigte das Text-Sampling aber als adäquate ästhetische
Verfahrensweise: „Originalität gibt’s sowieso
nicht, nur Echtheit.”
Wo kein Original, da kein Plagiat – auf
der Basis dieser Gleichung stritt das gesamte deutsche Feuilleton
im Frühjahr 2010 über die Legitimität klassisch
moderner Verfahren (Pastiche, Collage, Montage) im Kontext digitaler
Medien – ohne sich auf ein abschließendes Urteil
verständigen zu können.
Als gar eine Ehrung Hegemanns
mit dem Leipziger Buchpreis möglich erschien, sah sich der
Verband Deutscher Schriftsteller zur „Leipziger Erklärung
zum Schutz geistigen Eigentums” genötigt, in der er
unmissverständlich klar stellte: „Missachtung, Aushöhlung
und sträfliche Verletzung des Urheberrechts führt zur
Entwertung, Aufgabe und schließlich zum Verlust jedweder
eigenständigen intellektuellen und künstlerischen Leistung.”
Dass eine solche Bekräftigung des rechtlichen Status quo überhaupt
nötigt ist, verstärkt den Eindruck, dass knapp vier
Jahrzehnte nach Roland Barthes’ philosophischem Todesstoß für
den Autor auch das Urheberpersönlichkeitsrecht („Droit
d’Auteur”) nur noch eine Art untotes Dasein fristet.
Zentrale urheberrechtliche Begriffe wie „Schöpfungshöhe” bedürfen
der ständigen juristischen Neuauslegung, Plagiatsverdachtsmomente
bei besonders gut laufenden Buchtiteln sind schon fast die Regel.
Doch zu sagen, dass der Kaiser nackt ist, bleibt allein einem
Teenager vorbehalten, dessen mangelndes Rechtsbewusstsein mit
zum Teil sehr originellen Metaphern kompensiert wird.
So wirkt
die pikareske Helene Hegemann, die sich laut eigener Aussage
als „Untermieter im eigenen Kopf” fühlt, fast
wie eine postheroische Wiedergängerin des Don Quijote.
Lost in Music
Der Kaiser besaß einstmals einen Thron. Von dort ordnete
er die Verhältnisse, nach denen Künstler ihre Werke
in die Öffentlichkeit trugen.
Tonfolgen, akustisch gespeichert
und auf physische Trägermedien gepresst, bilden das jahrzehntelang
gültige Geschäftsmodell der Musikindustrie. Ein eigenes
Schutzrecht für Studioaufnahmen verbietet deren unerlaubte
Verwertung durch Dritte, erfolgreiche Chartbreaker sorgen für
die Quersubventionierung hoffnungsvoller Nachwuchskünstler,
Einnahmeausfälle durch Privatkopien werden durch zusätzliche
Abgaben auf Leermedien und Geräte ausgeglichen.
Heute ist es der König Kunde, der eine neue Sitzverteilung
fordert. Das Kompressionsformat MP3, in den achtziger Jahren
durch das Fraunhofer Institut entwickelt, hat einen Siegeszug
trägerloser Musik begründet, der das eingespielte System
von kanalisiertem Angebot und Nachfrage komplett ins Wanken gebracht
hat.
Seitdem Musikdateien über Peer-to-Peer-Filesharing
(und oft ohne Genehmigung der Rechteinhaber) getauscht werden
können, verzeichnen Plattenfirmen herbe Umsatzrückgänge.
Die rapide Verbreitung von Musik via Tauschbörsen und Upload-Plattformen
zeigt in aller Unerbittlichkeit auf, dass technologischer Wandel
immer auch die „kreative Zerstörung” existenter
Märkte nach sich zieht.
Mit restriktiven Maßnahmen
wie Digital Rights Management, wodurch gekaufte CDs auf den heimischen
Computern nicht mehr liefen, verprellte die Musikindustrie noch
die letzten gutwilligen Kunden. Eine ganze Branche leidet seitdem
unter Liebesentzug und wartet auf den weißen Ritter.
Der Musikmanager Tim Renner vergleicht die
gegenwärtige Situation mit jener zwischen den Weltkriegen,
als das aufkommende Radio von den großen Medienkonzernen
als gefährliche Konkurrenz angesehen wurde. Angesichts der
Digitalisierung musikalischer Inhalte, so Renner in seinem Beitrag,
stellen sich heute eigentlich ganz ähnliche Herausforderungen:
Nur ein politisch forcierter Kontrahierungszwang zwischen Urheber-
und Leistungsschutzrechtinhabern auf der einen Seite sowie Technologieunternehmen
und Anbietern von Internetanschlüssen auf der anderen könne
beim Marktversagen in der Musikbranche Abhilfe schaffen.
Die Zeichen der Zeit weisen gegenwärtig jedoch nicht in
die Richtung einer Entwicklung innovativer Marktmodelle.
Schon
eher ist eine Erhöhung des strafrechtlichen Drucks gegenüber
illegalen Nutzungsformen zu beobachten.
Das französische
Modell der „Three-Strikes-Out”, das nach zweimaliger
Abmahnung eine Kappung des Internetanschlusses vorsieht, wird
auch anderen Ländern zur Nachahmung empfohlen.
In Deutschland,
wo das Bundesverfassungsgericht im März 2010 die bisherige
Praxis der Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig
erklärte, zeichnet sich noch keine konsistente Linie bei
der Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen ab.
Unklar bleibt
insbesondere die europäische Haltung beim internationalen Anti-Piraterie-Abkommen
ACTA (Anti-Counterfeiting Trade Agreement), das das Übereinkommen über
handelsbezogene Aspekte der Rechte am geistigen Einkommen (TRIPS)
ergänzen und bis Ende des Jahres beschlussfähig sein
soll.
Beobachter kritisieren seit langem die Intransparenz der
laufenden Verhandlungsrunden, nur wenig Konkretes sickert an
die Öffentlichkeit.
Für den vorliegenden Reader hat Monika
Emert sich die Mühe gemacht, den wohl richtungweisenden
Netzregulierungs-Pakt der führenden Industrienationen einmal
genauer unter die Lupe zu nehmen.
Während es den Content-Industrien in den letzten Jahren
vor allem um die Wahrung ihrer abgeleiteten Rechte an Werken
ging, taten sich viele Künstler immer stärker durch
einen experimentellen Umgang mit dem Urheberrecht hervor.
Angelehnt
an die Zitatkultur im Hip-Hop, stellten musikalische Hybridbildungen
von z. B. DJ Danger Mouse (Grey Album) oder Girl Talk (Night
Ripper) sowie unzählige illegale Mashups auf den lokalen
Dancefloors und globalen Plattformen wie YouTube eindrucksvoll
die Formenvielfalt der Popkultur heraus.
Über den ästhetischen
Ansatz, das musikalische Archiv für kreative Neuschöpfungen
zu gebrauchen, wurde seitdem immer wieder, auch vor Gericht,
gestritten.
Schnell rückte die Frage, inwieweit die juristischen „Copyright
Wars” nicht auch die künstlerische Evolution behindern,
in den Fokus der Debatten.
Der Dirigent und Konzeptmusiker Christian von Borries hält
die Unterscheidung zwischen Original und Bearbeitung in der Musik
für obsolet.
Er bedient sich einer speziellen Software,
die fremde Kompositionen in Partituren rückübersetzt
und als Weiterbearbeitung aufführbar macht. So wurden in
der documenta-Arbeit "Auf einmal & gleichzeitig"
( eine Machbarkeitsstudie ) unter anderem Versatzstücke
von Prokofjew, Schostakowitsch, Pierre Boulez, John Adams und
Kanye West verwurstet.
Dieses musikalische Gangstertum, so Borries,
sei als legitime Form der Aneignung tief in der Musikgeschichte
verankert.
Auch die Künstlerin Cornelia
Sollfrank plädiert in ihrem Beitrag für einen „Diskurs
der künstlerischen Störung von Originalitäts-
und Autorschaftskonzepten”.
Was das konkret bedeutet, stellte
Sollfrank in dem Ausstellungsprojekt „Legal Perspectives” unter
Beweis. Dort münzte sie den juristischen Eiertanz um eine
digitale Warhol-Appropriation einfach in einen Kommentar zur
Urheberrechtsdebatte um.
Lost in translation
Jeff Bezos, der mit seinem Amazon-Buchladen nicht nur den klassischen
Buchhandel an die Wand drückt und selbst großen Verlagen
seine Bedingungen diktieren kann, gibt sich abgezockt und vorausschauend.
Auf lange Sicht, sagte er dem Wall Street Journal, werden Bücher
auf elektronischen Geräten gelesen werden. Physische Bücher
verschwänden nicht, so wie Pferde nicht verschwunden seien
nach der Erfindung des Automobils. Aber es gebe keinen Bestandsschutz
für Technologien.
Auf den Einwand, dass viele Leser aber
doch an den taktilen, den fassbaren Eigenschaften ihrer Bücher
hingen, entgegnete Bezos: „Ich bin mir sicher, Menschen
lieben auch ihre Pferde. Aber sie werden nicht auf ihrem Pferd
zur Arbeit reiten, nur weil sie ihr Pferd lieben. Es ist unsere
Aufgabe, etwas Besseres zu entwickeln als ein physisches Buch.”
Doch über eine Eigenschaft dieses „Besseren” spricht
Bezos ungern, und mit ihm viele Unternehmer, die mit digitalen
Inhalten Geld verdienen: den Wandel vom Eigentum zur Lizenzierung.
Wer sich ein elektronisches Buch auf den Kindle lädt, der „kauft” nur
noch in Anführungszeichen. Denn an einem „unkörperlichen
Werkstück”, wie so ein E-Book, ein MP3, ein Film aus
der Online-Videothek in schillernder Juristenprosa heißt,
erwirbt der Nutzer kein Eigentum. Sondern er erwirbt den Zugang
zu einem Werkstück durch eine Lizenz, die ihm die Nutzung
des Werks ermöglicht.
Das mussten einige Besitzer des Kindle-Lesegeräts
im Juli 2009 schmerzlich erfahren, als von einer Sekunde zur
nächsten ausgerechnet George Orwells 1984 von ihren Kindles
verschwand. Amazon hatte sie gelöscht, wozu die Firma in
der Lage war, weil sie niemals die Kontrolle über die Geräte
aufgibt, für die Kunden 250 Euro und mehr auf den Tisch
legen.
Amazon ist kein Einzelfall, worauf auch Cory Doctorow,
erfolgreicher Science-Fiction-Autor, Blogger und
Kämpfer gegen jede Art von Nutzer-Knebelung, in diesem Reader
hinweist.
Apples iTunes Music Store, inzwischen nicht mehr nur
von der Musikbranche, sondern auch von der Filmwirtschaft und
nun sogar von den Presseverlagen geradezu als Heilsbringer verehrte
Online-One-Stop-Shop, in dem alles gekauft werden kann, was sich
nicht anfassen lässt, ist vom gleichen Schlag.
Dass seine
Geschäftsbedingungen gegen deutsches Recht verstoßen,
ist so gut wie sicher, doch der Prozess, den die Verbraucherzentralen
in Deutschland gegen Apple führen, dauert Jahre, kostet
einen Haufen Geld und Ressourcen.
Wenn er abgeschlossen sein
wird, warten die Bedingungen einiger Tausend anderer Angebote,
von Social Networks bis zu E-Mail-Providern. Den Augiasstall
auszumisten, muss im Vergleich dazu ein Traumjob sein.
Lost and found
Die Politik hält mit diesen Veränderungen des Marktes
und der Geschäftsmodelle nicht Schritt.
Doch ist der Grund
dafür nicht die natürliche Verlangsamung im demokratischen
Prozedere, bei der der Gesetzgeber der technischen Entwicklung
hinterherhinkt.
Die sogenannte „kooperative Gesetzgebung”,
mit der das Bundesjustizministerium versprochen hatte, die Interessenvertreter
der Urheber, der Verbraucher und der Wirtschaft direkt in den
Gesetzesvorbereitungsprozess einzubinden, stellt sich nach beinahe
zehn Jahren dar als die Möglichkeit, den Wünschen der
Verwertungsindustrie noch mehr Gewicht zu geben.
Die Interessen
der Öffentlichkeit, der Wissenschaft und der Urheber selbst
wurden diesen wiederholt untergeordnet.
Ein Leistungsschutzrecht für Presseverlage, das nach dem
Willen der schwarz- gelben Koalition in dieser Legislaturperiode
kommen soll, ohne dass vorher auch nur evaluiert worden wäre,
(a) welches Problem es lösen soll, (b) ob es dieses Problem
lösen kann und (c) zu welchen Kosten für die Allgemeinheit
es das tun würde, ist nur das jüngste in einer Reihe
von Beispielen.
Ilja Braun wundert sich in seinem
Beitrag zum Leistungsschutzrecht über die Chuzpe, mit welcher
der „Content-Klau” von Web-Portalen und News-Aggregatoren
angeprangert wird.
Robin Meyer-Lucht verortet die Diskussion um
das Leistungsschutzrecht im Kontext einer Rollenkrise des klassischen
Journalismus. Dieser habe den Paradigmenwechsel durch die neuen
Player im Web 2.0 im Grunde immer noch nicht richtig verstanden.
Wenn die gemeinsame Wertschöpfung im Internet (etwa auf
Wikipedia, in Social Networks oder auf Blogs) ein wichtiger Indikator
dafür ist, dass wir uns mit Hilfe der Technik dem Ideal
einer offeneren Kultur anzunähern beginnen, dann ist es
zweifelsohne notwendig, für die Zukunft rechtliche Vereinbarungen
und zentrale Regularien zu entwickeln.
Die Lösung, da ist
sich der amerikanische Verfassungsrechtler und Harvard-Professor Lawrence
Lessig in seinem Beitrag sicher, könne jedoch nicht
darin bestehen, die juristische Komplexität bei den geistigen
Eigentumsrechten zu erhöhen.
Anhand der Lizenzierungsproblematik
bei Dokumentarfilmen und der Google-Buchsuche zeigt er anschaulich,
wie etwa die Verlängerung von Schutzfristen und die Erschwernis
von öffentlicher Nutzung in letzter Konsequenz zu einer
Verarmung unseres kulturellen Erbes führen können.
Zumindest eine Antwort auf die verwerterzentrierte Haltung der
Politik kann sein, das Heft selbst in die Hand zu nehmen, wie
es beispielsweise Urheber mit den von Lessig mitentwickelten
Creative-Commons-Lizenzen tun können.
Die attraktiven Wahlmöglichkeiten
für die Urheber im Umgang mit ihren eigenen Werken durch
den Lizenzbaukasten Creative Commons beschreibt John
Hendrik Weitzmann.
Doch so wichtig diese Ansätze einer Selbstorganisation
sind, so wenig werden sie tiefer liegende Probleme lösen,
wie die fundamentalen Veränderungen im Verhältnis von
Verwertern auf der einen, Urhebern und Verbrauchern auf der anderen
Seite. Dass man darum beim Urheberrecht einen viel stärkeren
Fokus auf den Nutzerschutz legen müsste, begründet
der Rechtswissenschaftler Gerd Hansen in seinem
Beitrag.
Und Till Kreutzer, Mitbegründer von iRights.info,
schlägt weitreichende Regelungsalternativen vor, mit denen
sich der gordische Knoten durchschlagen ließe, in dem vor
allem die gegensätzlichen Interessen der Urheber und Verwerter
verwickelt sind.
Ilja Braun blickt demgegenüber auf die Empirie der bisherigen
Reformbemühungen und problematisiert angesichts der herrschenden
Vergütungsregeln die mangelnde Verhandlungsmacht der Urheber.
Nicht zuletzt wird die Idee einer Kulturflatrate – eine
Pauschalvergütung digitaler Nutzungsformen – derzeit
intensiv wie nie diskutiert.
Wie die grüne Europaabgeordnete Helga
Trüpel und (gemeinsam mit Simon Edwin Dittrich)
Malte Spitz, Mitglied im grünen Bundesvorstand, in ihren
jeweiligen Beiträgen darlegen, wäre ihr womöglich
zuzutrauen, einen Ausweg aus dem Dilemma zu bieten, das unweigerlich
entsteht, wenn künstlerische Werke und kulturindustrielle
Produkte verlust- und nahezu kostenfrei vervielfältigt werden
können.
Bei allen noch offenen Fragen der Ausgestaltung
einer solchen Kulturflatrate: Eine zusätzliche Abgabe auf
Breitbandabschlüsse hätte zumindest den Charme, Internetnutzer
zu entkriminalisieren, die Justiz von Tausenden Bagatelldelikten
zu entlasten sowie eine kompensatorische Vergütung der Urheber
zu ermöglichen.
Wem diese Vorschläge zu radikal erscheinen, sei daran erinnert,
dass eine Rechtsordnung immer auf der Anerkennung durch jene
beruhen muss, deren Leben sie regulieren will.
Schon jetzt verweigern
Millionen von Menschen – Tauschbörsennutzer, Software-Kopierer,
Mashup-Artisten – der geltenden Rechtsordnung ihre Zustimmung.
Zehntausende haben das bei der letzten Wahl zum Ausdruck gebracht,
indem sie ihr Kreuz bei einer Partei machten, die auf das Orange
des revolutionären Aufbruchs setzte.
Ob die Lösungen,
die die Piratenpartei vorschlägt, den Interessen der beteiligten
Stakeholder gerecht werden, ist mindestens umstritten. Der „Pirat” Jens
Seipenbusch und der grüne Netzpolitiker Jan Philipp Albrecht
erörtern in diesem Band ihre Gemeinsamkeiten und Differenzen.
Alles auf Anfang: Der mexikanische Schwanzlurch Axolotl verfügt,
so erklärt es die Online-Enzyklopädie Wikipedia, über
eine erstaunliche Fähigkeit: Er kann Gliedmaßen, Organe
und sogar Teile des Gehirns und Herzens vollständig regenerieren.
Vielleicht sollten sich die Theoretiker und Praktiker des Urheberrechts
gerade an ihm ein Beispiel nehmen.
Der Reader Copy.Right.Now! - Plädoyers für ein zukunftstaugliches
Urheberrecht, herausgegeben von der Heinrich-Böll-Stiftung
in Zusammenarbeit mit iRights.info, liegt
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